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Bericht zum Russlandaustausch 2003

Gruppe

Nachdem die russischen Schüler im Mai für zwei Wochen bei uns in Frankfurt gewesen waren, trafen wir uns am Donnerstag, dem 18. Juni, morgens um halb sieben am Flughafen, um den zweiten Teil des Austausches zu bestreiten. Wir deutschen Schüler wurden von Herrn Schütz und Herrn Rohde begleitet. Um halb acht waren dann endlich alle da. Nach dem Einchecken begann der Abschied und wir Schüler verließen unsere Eltern auf dem Weg in die „Ungewissheit“. Kurz darauf saßen 20 Schüler und ihre Lehrer im Flugzeug und harrten aufgeregt der Dinge, die nun für zwei Wochen über sie hereinbrechen sollten.
Im Gegensatz zu den Russen hatten wir den entscheidenden Vorteil, unsere Austauschpartner schon zu kennen, als sie uns am Flughafen in Moskau abholten. Ihre Eltern kannten wir allerdings noch nicht. 
Weil es in Moskau trotz des hervorragenden Metrosystems ein gigantisches Verkehrsaufkommen gibt – kein Wunder bei ca. 9 Mio. Einwohnern -, dauerte die Fahrt „nach Hause“ trotz vieler Schleichwege eine ganze Weile, was bei einer Ausdehnung von etwa 900 km2 ebenfalls nicht verwunderlich ist. Nach einer kurzen Führung durch die Wohnung, die für zwei Wochen mein zu Hause sein würde, gab es Essen.

Wir waren zwar in diversen Schulstunden von Frau Delavre auf den Aufenthalt vorbereitet worden, doch hätte ich vorher gewusst, dass Russen überzeugte Betreiber der Völlerei sind, hätte ich mein Frühstück an Board bestimmt nicht komplett verspeist. 
Schon am ersten Nachmittag fuhren wir ins Stadtzentrum um „spazieren zu gehen“, was so viel heißt wie planlos herumzulaufen. 
Am Freitag fand ein Empfang in der Schule statt, bei dem wir erfuhren, dass dies schon der neunte Austausch des HvGGs mit der „Schule 1249 mit erweitertem Deutschunterricht“ war, also nächstes Jahr Jubiläumsaustausch sein wird und das davon sogar in einem weit verbreiteten Deutschbuch, für russische Schüler, schon die Rede ist.

Am Wochenende fuhren viele auf die Datscha (komfortable Wochenendhäuser mit Sauna und Heimkino oder kleinere Blockhütten), andere gingen shoppen, was in Moskau auch am Sonntag kein Problem ist, wieder andere gingen mit ihren Gastfamilien – wie ich – abends ins Musical, Ballett oder Theater und eine von uns flog sogar mit ihrer Familie nach St. Petersburg.

Schon an der Wochenendgestaltung konnte man sehen, dass unsere Austauschpartner und ihre Eltern wirklich keinerlei Kosten und Mühen scheuten um uns einen unvergesslichen und abwechslungsreichen Aufenthalt in Moskau zu bescheren.
Das von der Schule organisierte Programm erwies sich zwar als nicht weniger kostspielig und abwechslungsreich, doch war es teilweise leider etwas verschwenderisch geplant: stundenlange Pufferzeiten und immer mindestens zwei engagierte Führer. Manche Ausflüge, wie z.B. den nach Kolomna, wo es nichts als ein verrottetes Kloster-Festungs-Städtchen und eine auf Kindergarten eingerichtete Ritterschau gab, hätte man sich vielleicht sparen können.

Die anderen Aktivitäten waren allerdings mehr als nur eine Entschädigung. So sahen wir auf einer Stadtrundfahrt im Bus ganz verschiedene Ecken Moskaus und hörten dazu Kommentare der Führerin. Wir erkundeten den Kreml mit seinen riesigen Schätzen in der Rüstkammer, der Kanonensammlung und seinen Kathedralen, wir „erlebten“ in einem Panorama-Museum förmlich die Schlacht von Borodino, wurden in der russischen Geschichte von Herrn Schütz unterrichtet, sahen in der Tretjakowgalerie Kunstwerke russischer Künstler und die größte Ikonensammlung der Welt. Die Aussichtsplattformen auf der, mit großem Aufwand wiedererrichteten Christi-Erlöser-Kathedrale boten einen Ausblick auf verschiedene Stadtteile und Sehenswürdigkeiten, die wir teilweise vorher schon aus der Nähe gesehen hatten. Unsere Führerin konnte uns viel Interessantes über die alte Kathedrale, ihren Abriss und Neubau erzählen. Das Puschkin-Museum gehört zu meinen persönlichen Favoriten: Dort waren Kopien griechischer Tempelanlagen, ägyptische Mumien und Sarkophage in einem Haus mit Bildern von Picasso, Matisse, Botticelli, Rembrandt, Rubens und vielen mehr ausgestellt. Sogar antike Funde Schliemanns in Troja sind dort exponiert.

Im Sternenstädtchen, wohin wir einen Tagesausflug machten, konnte man Teile des Trainingscenters für Kosmo-/ Astronauten sowie 1:1-Kopien der Raumstation Mir und der Trägerrakete Sojus anschauen und teilweise sogar betreten. In Sergiew Possad besichtigten wir ein, vom Mönch Sergius gegründetes, Kloster, das diversen Armeen standgehalten hatte jedoch nicht gegen die Kommunisten aushielt und dadurch viele seiner Schätze verlor.

Im Zirkus, der der erste nicht Wanderzirkus war, den ich je gesehen hatte, entdeckten viele von uns ihre verloren gegangene Freude am Zirkus wieder.

Alles in allem war der Russland-Austausch eine sehr schöne und interessante Erfahrung. Wir haben nicht nur die kulinarischen Gewohnheiten sondern auch die Lebensweise unserer russischen Austauschfamilien kennen gelernt. Man muss auch immer bedenken, dass man sich vor etwa 15 Jahren überhaupt nicht vorstellen konnte, dass jemals ein derartiges Austauschprogramm würde stattfinden können, weil die verschiedenen politischen Systeme und Antipathien dies nicht zuließen.

Bilder von Constantin Wischnath

Text von Thomas Strothjohann